Autorin, Bloggerin, Mutter und jetzt TFA Fellow
Menerva Hammad, Fellow 22', spricht in diesem Interview über ihren Arbeitsalltag in der Schule.
TFA: Liebe Menerva, du bist Autorin, Bloggerin, Mutter von zwei Töchtern und seit 2022 auch Teach For Austria Fellow und unterrichtest an einer Mittelschule in Wien. Was waren deine Beweggründe, dich als Fellow zu bewerben?
MH: Ich wollte eigentlich immer schon Lehrerin werden, aber meine Erfahrungen als Schülerin waren so dermaßen traumatisierend, dass ich nach der Matura nicht an das Lehramtstudium gedacht habe. Mit Jugendlichen arbeite ich schon seit zirka zehn Jahren, oftmals auf ehrenamtlicher Basis, was mich dann zu der Frage geführt hat: „Was, wenn ich das in ihnen heilen könnte, was man versuchte in mir zu brechen?” Aus diesem Blickwinkel betrachtet war es für mich dann eigentlich selbstverständlich, dass ich Lehrerin werden möchte.
Wie gestaltet sich ein typischer Arbeitstag von dir?
Dass ich super motiviert mit emotionalen Anekdoten in der Klasse starte, vor noch halb schlafenden jungen Erwachsenen, die zwar freiwillig, aber eher ungern in die Schule gehen. Emotionale Ausbrüche von Schüler:innen auf den Gängen, gebrochene Herzen in den Pausen, Gerüchte und Lästereien, die sich von Pause zu Pause verbreiten und häufen, Überforderung und Euphorie im Wechseltanz, und ein realer Spiegel unserer Gesellschaft.
Was war bis jetzt für dich die größte Herausforderung im Klassenzimmer? Und wie bist du damit umgegangen?
Die größte Herausforderung ist, die eigenen Grenzen zu erkennen. Am liebsten würde ich einige der Kinder adoptieren, aber ich muss mir fast jeden Tag bewusst machen, dass ich die Lehrerin und nicht die Mama bin. Das ist für mich noch immer sehr schwierig. Dann sind da noch das unfaire Leben, die sie durch eine unfaire Welt begleiten, und man selbst kann nur begrenzt dagegen etwas tun. Das als Wahrheit zu akzeptieren ist unmöglich, ohne, dass das eigene Herz ein wenig daran zerbricht.
„Die größte Herausforderung ist, die eigenen Grenzen zu erkennen.“
Wie unterstützt dich Teach For Austria bei Herausforderungen?
Ich bin ein großer Fan vom Flex-Angebot. Diese Fortbildungen sind so gut strukturiert und gestaltet, dass ich viele Inhalte gleich am nächsten Tag in der Klasse anwenden kann. Außerdem ist die Begleitung eines/einer Trainers/Trainerin wirklich viel wert. Egal wie gut man auf die Schule vorbereitet wurde, es ist ein Sprung ins kalte Wasser.
Wodurch kannst du in deiner Arbeit am meisten für „deine” Jugendlichen bewirken?
Ehrlichkeit. Ich sage ihnen ganz ehrlich, dass sie doppelt und dreifach arbeiten müssen, um halbwegs anerkannt zu werden, in Österreich. Ein Mohamad hat weniger Chancen als ein Manuel, außer Mohamad wird Manuels Chef. Ich glaube wirklich daran, dass sie alles werden können, was sie wollen, aber dann müssen sie auch die Arbeit hineinstecken. Von nichts kommt nichts und sie müssen sich selbst treu bleiben, auch das sage ich ihnen, weil das Leben nicht fair ist, aber sie sollen es sein. Ich denke, dass innerer Frieden und Selbstwertgefühl wichtige Eigenschaften sind, um bewusste Menschen zu formen, die auch ein bewusstes Gefühl unserer Gesellschaft gegenüber pflegen werden. Hoffentlich.
„Ich glaube wirklich daran, dass sie alles werden können, was sie wollen, aber dann müssen sie auch Arbeit hineinstecken.”
Auf welche Erfolgsmomente als Lehrkraft bist du besonders stolz?
Sie sehen sich selbst als die Schätze, die sie sind. Ich denke, dass es kein besseres Gefühl geben kann, als jemandem zu helfen, die Türen zu sich selbst zu öffnen.
Was denkst du schätzen die Jugendlichen an dir als Lehrkraft?
Ich bin kleiner als die meisten, trage oft sehr farbenfrohe Kleidung und lustige Ohrringe. Ich glaube, das vermittelt schon einmal, dass ich in Frieden komme (lacht). Und ich lache viel mit ihnen, wir reden oft über deren Leben. Ich interessiere mich für sie. Ja, das ist es: Ich interessiere mich für sie als Personen, nicht nur als Schüler*innen.
„Ich interessiere mich für sie als Personen, nicht nur als Schüler:innen.”
Als Autorin beschäftigst du dich vor allem mit Weiblichkeit. Wie teilst du dein Wissen und deine Erfahrungen mit Mädchen in deinem Unterricht?
Ich teile diese Erfahrungen auch mit den Jungs, ich finde, das ist das allerwichtigste, dass man die Kids da nicht trennt. Wir haben viel zum 8. März gemacht, aber grundsätzlich, pflege ich die traditionellen Rollenbilder nicht in meiner Alltagssprache. Wenn ich z. B. Hilfe beim Tragen von Büchern brauche, sage ich nicht: „Ich brauche jetzt starke Jungs”, sondern: „Ich brauche jetzt starke Arme” und nehme meistens die Mädels, die aufzeigen. Ich lade außerdem viele Frauen zu Workshops ein, die Führungspositionen haben.
Was bedeutet für dich Social Leadership und Female Empowerment? Wie verknüpfst du die beiden?
Beides leider Utopien in Österreich, da ist so viel Luft nach oben. Social Leadership bedeutet für mich, dass ich mir meiner Privilegien bewusst bin und schaue, was kann ich für die Gesellschaft leisten, ohne, etwas zurück zu erwarten. Female Empowerment, das ist sowieso nur ein Hashtag irgendwie, so fühle ich jedenfalls, weil Frauen so vielen Frauen im Weg stehen, genau dann wenn es darum geht eigentlich zusammenzuhalten. Das ist für mich wirklich der falsche Weg. Ideal wäre es natürlich, wenn ich auf Frauen in meinem Umfeld und Gesellschaft zählen könnte, anstatt mich vor ihnen in Acht nehmen zu müssen.
„Social Leadership bedeutet für mich, dass ich mir meiner Privilegien bewusst bin und schaue, was kann ich für die Gesellschaft leisten, ohne etwas zurück zu erwarten.”
Was ist dein Zeit-Management Geheimnis?
Habe keins. Ich bin eine wandelnde Katastrophe, was das betrifft.
Weißt du schon, was du nach den zwei Jahren Fellowprogramm machen wirst?
Ich habe meinen Traumberuf gefunden und würde gerne Lehrerin bleiben, nebenbei erscheinen weiterhin Kolumnen und Bücher.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Menerva!
— Mai 2024