Bildungseinrichtung Kindergarten – Die Suche nach dem Warum
Der Beruf der Elementarpädagog:innen wird viel diskutiert. Was braucht der Kindergarten und vor allem warum? Teach For Austria Alumna und Selection Managerin Nadja Michel will den Fokus darauf setzen, was die Kindergartenkinder brauchen.
Der Kindergarten braucht Verstärkung
Aktuell wird viel über Kindergärten diskutiert, im Rahmen des Hashtags #kindergartenbraucht. Dabei erfahren sie auch eine verstärkte mediale Aufmerksamkeit – eine Entwicklung, die mich sehr freut. Meist konzentriert sich die Debatte auf das ‚Was‘: Was brauchen Kindergärten, um ihrem Anspruch an die Rolle als erste Bildungseinrichtungen gerecht zu werden? Diese Überlegungen sind wichtig, es sollen ja Lösungen her.
Die Frage, die gelegentlich in den Hintergrund rückt, ist die nach dem ‚Warum‘. Warum sollen Kinder überhaupt eine gute Elementarbildung erfahren? Reicht es nicht, wenn sie mit sechs in die Volksschule gehen?
"Es geht um die Kinder, das liegt auf der Hand, und das schwingt in der Diskussion um #kindergartenbraucht auch deutlich mit. Dennoch sind es zumeist Erwachsene, die für Kinder argumentieren, und dabei werden manchmal die langfristigen Ziele, die wir für „unsere“ Kindergartenkinder verfolgen, unsichtbar."
Ich bin selbst in die ‚Was-Falle‘ getappt, als ich den ersten Entwurf dieses Textes schrieb. Den Schubs weg vom ‚Was‘ und hin zum ‚Warum‘ gab mir schließlich eine Mit-Fellow in einem Meeting, als sie zu bedenken gab: „Eigentlich geht es ja um die Kinder.“
Es geht um die Kinder, das liegt auf der Hand, und das schwingt in der Diskussion um #kindergartenbraucht auch deutlich mit. Dennoch sind es zumeist Erwachsene, die für Kinder argumentieren, und dabei werden manchmal die langfristigen Ziele, die wir für „unsere“ Kindergartenkinder verfolgen, unsichtbar.
Kindergarten als Bildungseinrichtung?
Mit unserer Bildungsarbeit unterstützen wir die Kinder, verschiedene Kompetenzbereiche zu entwickeln, beispielsweise die Transitionskompetenzen, die beim sicheren Übergang zwischen zwei Lebensphasen helfen – vom Kindergarten in die Schule, aber auch von der Volksschule in die weiterführende Schule, von der Schule ins Berufsleben, beim Umzug in eine andere Stadt oder gar ein anderes Land, beim Umgang mit persönlichen Verlusten…
Werden die Fähigkeiten, mit Lebensveränderungen umzugehen und sich auf Neues einzulassen, im Kindergartenalter erlernt und geübt, profitiert das Kind ein Leben lang.
Kompetenzen fürs Leben
Andere Kompetenzen, die in der Elementarbildung gestärkt werden, sind:
- Konfliktlösungsfähigkeiten, die durch einfühlsame Konfliktbegleitung entwickelt werden,
- Konzentration und Aufmerksamkeitsspanne, die für den Schulalltag wichtig sind,
- Kennenlernen eigener Stärken und Interessen, die durch vielfältiges Spielangebot und positive Verstärkung entdeckt werden,
- Bewusstsein für die Umwelt, damit das Kind diese aktiv mitgestalten kann,
- Körperkoordination und Bewegungsfreude, um physische und kognitive Gesundheit zu fördern,
- und vieles mehr.
"Der Kindergarten als Bildungseinrichtung ist wichtig, weil sich die Voraussetzungen im familiären Umfeld der Kinder stark unterscheiden"
Für die Entwicklung dieser Fähigkeiten braucht es vor allem eines: Interaktion. Kinder lernen selbstbestimmt, aber dazu brauchen sie die Möglichkeit der Kontaktaufnahme – angefangen von beobachtungsbasiertem Angebot an Spielmaterial hin zu einem sicheren Rahmen, in dem sie sich ausprobieren können, Feedback bekommen und lernen, wann sie an eine Grenze stoßen.
Der Kindergarten als Bildungseinrichtung ist dabei unter anderem wichtig, weil sich die Voraussetzungen im familiären Umfeld der Kinder stark unterscheiden. Beim Zugriff auf Material sowie den Kapazitäten der Erziehungsberechtigten, die Kinder gezielt beim Lernen zu begleiten, gibt es schon im frühen Kindesalter ein großes Gefälle – umso wichtiger ist es, dass der Kindergarten eine gute Bildung für alle Kinder gewährleistet.
Was brauchen wir im Kindergarten – und warum?
In einer ruhigen Minute gebe ich die Frage an die Kinder zurück: was brauchen wir im Kindergarten?
„Man soll spielen können, was man möchte“, sinniert Valentin* (4 Jahre), „und es soll auch mal leise sein.“ Damit hat er einerseits sehr präzise die Erkenntnisse der Bildungsforschung wiedergegeben: Kinder lernen durch das Spiel, je lustvoller, desto effektiver. Die Ruhephasen ermöglichen ihnen, das Gelernte zu verarbeiten. Valentin zeigt andererseits auch deutliche Metakompetenzen: Er reflektiert seine eigenen Erlebnisse im Kindergarten und zieht sie für die Antwort auf eine unbekannte Frage heran. „Meistens ist es aber laut“, fügt er noch hinzu.
„Ich mag es laut“, wirft Louis* (6 Jahre) ein. „Aber dann können die anderen sich nicht ausruhen.“ Louis hat Recht. In einer Gruppe mit 25 jungen Persönlichkeiten sind die Bedürfnisse mitunter sehr verschieden. Er beweist außerdem ein hohes Maß an Sozialkompetenz: Er benennt neben seinen eigenen Bedürfnissen auch die der anderen Kinder und erkennt die Notwendigkeit eines Kompromisses.
Unser Philosophieren wird unterbrochen, als es beginnt zu schneien, was die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich zieht. Nach ein paar Minuten kommt Bojan* (4 Jahre) dann aber doch zu mir zurück. „Nadja, weißt du, du hast mich schon lange nicht mehr geknuddelt.“ Nicht nur erkennt Bojan sein aktuelles Bedürfnis nach Körperkontakt, er fühlt sich auch sicher genug, es mir gegenüber zu formulieren; zwei wichtige Selbstkompetenzen. Natürlich komme ich seiner mitschwingenden Bitte nach – und habe gleich darauf noch drei andere Kinder um den Hals hängen.
Interaktion als Schlüssel zur Elementarbildung
Es braucht den Kindergarten als Bildungseinrichtung, damit Kinder Kompetenzen entwickeln können, die sie ihr Leben lang begleiten – und der Kindergarten als Bildungseinrichtung braucht Aufmerksamkeit, damit Interaktionen wie oben möglich sind, in denen diese Kompetenzen erkannt und gezielt unterstützt werden können.
Lasst uns miteinander in Interaktion treten!
* Namen geändert
— Februar 2022