Markus Neuherz: Vom Generalsekretär zur Lehrkraft

Vor seiner Arbeit als Teach For Austria Fellow war Markus Neuherz Generalsekretär bei der Lebenshilfe Österreich. Er spricht in diesem Interview darüber, warum er sich für das Social Leadership Programm entschieden hat und wie seine Erfahrungen ihn in seiner Rolle als Lehrer prägen. 

TFA: Lieber Markus, du bist TFA-Fellow 2024. Warum hast du Dich um einen Platz im zweijährigen Social Leadership Programm von TFA beworben?

MH: Ich habe mich für das Social Leadership Programm von Teach For Austria beworben, weil ich überzeugt bin, dass Bildung eine der wichtigsten Stellschrauben zu gesellschaftlicher Veränderung ist. Das Programm bietet die Möglichkeit, direkt mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten und sie zu unterstützen, ihr Potenzial zu entfalten. Gleichzeitig kann ich meine eigenen Führungsqualitäten weiterentwickeln und einen nachhaltigen Beitrag zur Bildungsfairness leisten.  

Was genau hast du davor gemacht?

Vor meiner Zeit bei Teach for Austria war ich in verschiedenen Funktionen im Bereich der sozialen Inklusion und Arbeitsmarktintegration tätig. Ich habe mich insbesondere für Menschen mit Behinderungen eingesetzt, um ihre beruflichen Chancen zu verbessern.

Ich war Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich, wo ich mich für eine inklusive Gesellschaft engagiert habe. Davor war ich Geschäftsführer des Dachverbands berufliche Integration | dabei-austria, einer Organisation, die sich für die berufliche Eingliederung von benachteiligten Menschen stark macht.

Davor war ich Unternehmensberater mit Schwerpunkt Kleinstunternehmen und Unternehmensgründungen sowie Leiter von EU Projekten in Rumänien und im Westbalkan. 

Meine berufliche Laufbahn begann bereits mit 15 Jahren als Lehrling in einem Baumarkt, in dem ich rasch nach Abschluss meiner Lehre Marktleiter wurde und damit auch für die Lehrlingsausbildung verantwortlich war. Nach neun Jahren im Baumarkt wechselte ich in den Sozialbereich und begleitete Jugendliche mit Benachteiligungen beim Einstieg ins Berufsleben. Ich habe also früh erfahren, wie wichtig gezielte Unterstützung für junge Menschen ist, um ihnen Perspektiven zu eröffnen.

Maturiert habe ich berufsbegleitend und im Anschluss Management internationaler Geschäftsprozesse an der FH Joanneum und Coaching & Organisationsentwicklung bei der ARGE Bildungsmanagement studiert.

Wie hat dein persönliches und privates Umfeld auf deine Entscheidung, als quereinsteigender Pädagoge mit TFA an einer herausfordernden Mittelschule zu unterrichten, reagiert?

Die überwiegende Mehrheit der Reaktionen waren sehr positiv. Viele Menschen, besonders jene, die mich gut kennen, bescheinigten mir, dass meine Haltung und mein Engagement sicher genau richtig sein würden, um als Lehrer gut arbeiten zu können und dass mir mein Humor sicher über so manche schwierige Situation hinweghelfen werde. Bisher hat sich das auch bewahrheitet. 

Einige waren über den Wechsel erstaunt, meinten aber, sie hätten großen Respekt davor. 

Nur zwei Personen aus dem Bekanntenkreis (selbst Lehrer*innen) wunderten sich, warum ich mir "das antun" würde ;).  

Über den Autor

Markus Neuherz war in verschiedenen Führungspositionen in NGOs aktiv. Als Interessenvertreter im Sozialbereich kristallisierte sich für ihn immer klarer die zentrale Bedeutung des Bildungssystems heraus. Deshalb bewarb er sich für das Social Leadership Programm von TFA und ist seit 2024 als Fellow in einer Mittelschule aktiv.

„Ich habe mich für das Social Leadership Programm von Teach For Austria beworben, weil ich überzeugt bin, dass Bildung eine der wichtigsten Stellschrauben zu gesellschaftlicher Veränderung ist."

Markus Neuherz, TFA Fellow

Du bist TFA-Fellow in einer Mittelschule. Warum hast du dich genau für die Mittelschule entschieden? 

Ich habe mich bewusst für den Einsatz an einer Mittelschule entschieden, weil gerade in dieser Bildungsstufe noch einmal die Weichen für die zukünftige Entwicklung der Jugendlichen gestellt werden. Gleichzeitig haben aber viele Mittelschüler*innen und deren Familien oftmals nicht den Zugang zu den notwendigen Ressourcen, um die jeweils beste Laufbahn einschlagen zu können. In der Mittelschule haben die Schüler:innen oft mit vielfältigen Herausforderungen zu kämpfen, und ich möchte sie dabei unterstützen, diese zu meistern und ihre Chancen zu verbessern. Durch meine Arbeit möchte ich ihnen Perspektiven aufzeigen und sie motivieren, ihre Ziele zu verfolgen.  

Welche Fächer unterrichtest du momentan?

Derzeit unterrichte ich Deutsch, Digitale Grundbildung, Bildungs- und Berufsorientierung, Geografie, Biologie und Musik. Diese Bandbreite ist durchaus herausfordernd, bietet mir aber auch die Gelegenheit, sehr viele Stunden in einer Klasse zu verbringen und so wirklich tragfähige Beziehungen aufbauen zu können.  

Was waren und sind deine größten Herausforderungen im Social Leadership Programm und was hast du dabei bis jetzt gelernt?

Als herausfordernd empfinde ich durchaus, das "System" Schule in seiner Gesamtheit zu erfassen und in weiterer Folge zu verstehen. Damit meine ich vor allem auch, zu lernen, wie die Bürokratie funktioniert und wie welcher Prozess zu administrieren ist. Gelernt habe ich dabei, dass zwar wohl niemand zu finden ist, der alle Prozesse kennt, dass sich aber im Kollegium immer jemand findet, die oder der mir weiterhilft.

„In der Mittelschule haben die Schüler:innen oft mit vielfältigen Herausforderungen zu kämpfen, und ich möchte sie dabei unterstützen, diese zu meistern und ihre Chancen zu verbessern.“

Markus Neuherz, TFA Fellow

Du bist selbst Vater von zwei Kindern. Was für Vorteile bringt dir das als Lehrkraft? Was sind Herausforderungen, z.B. Zeitmanagment? Wie managt du sie?

Als Vater kann ich gut nachvollziehen, wie es sich anfühlt, wenn die Schule "schon wieder etwas will". Sei es ein auf den Cent genau abgezählter Geldbeitrag für einen Lehrausgang, ein Gesprächstermin mit der Lehrkraft, eine Einladung zum Elternabend oder das Einpacken einer besonders gesunden Jause. Da verstehe ich die Eltern oft sehr gut, wenn sie ihr Leid klagen. Gleichzeitig nehmen die Eltern dann aber auch von mir gut an, wenn ich auf ihre "Mitwirkungspflicht" beharre, die uns Eltern alle betrifft. Ähnlich verhält es sich gegenüber den Schüler:innen, die wissen, dass ich selbst Kinder habe. 

Als herausfordernd empfinde ich in diesem Zusammenhang die mangelnde Zeitautonomie. Ich bin es aus meinen bisherigen Jobs gewohnt, zwar viele Stunden zu arbeiten, mir die Zeit aber sehr frei einteilen zu können. Wenn es am Morgen mit den Kindern mal länger gedauert hatte, bin ich einfach eine halbe Stunde später ins Büro gekommen. Das geht jetzt nicht mehr. 

Gleichzeitig empfinde ich den Lehrerjob als sehr familienfreundlich, da wir zum einen keine Sorge haben müssen, ob die Kinder in den Ferien betreut sind und zum anderen durch die Stundenpläne und gute Planung anderer schulischer Aktivitäten durch unsere Direktorin langfristig planbar ist, wer die Kinder wann betreut.   

Inwiefern profitierst du von der 12-wöchigen Sommerakademie als Vorbereitung und dem regelmäßigen individuellen Coaching durch deine Trainerin/deinen Trainer?

Die 12-wöchige Sommerakademie war zwar sehr intensiv und hat im Sommer kaum Zeit zur Erholung gelassen, sie war aber jede einzelne investierte Minute wert. Zum einen hatte ich das Gefühl, gestärkt durch die Sommerakademie, von Tag eins an zu wissen, was ich in der Klasse machen kann und wie ich die weiteren Stunden plane. Zum anderen höre ich immer wieder von anderen Lehrerkolleg*innen, dass sie sich so etwas wie die TFA-Sommerakademie auch gewünscht hätten. 

Die individuellen Coachings sind einerseits Ansporn, mich laufend daran zu erinnern, jeden Tag das Beste zu geben und vor allem wirkungsorientiert zu denken und zu handeln. Zum anderen bietet sich im Coaching die Möglichkeit, über Themen zu sprechen, die im Kollegium keinen Platz finden.   

Worauf bist du als Lehrkraft besonders stolz? Erzähle uns gerne Erfolgsgeschichten von deinen Schüler:innen? Wie hatte dein Wirken bis jetzt Impact?

Es erfüllt mich mit besonders großer Freude, dass ein sehr großer Anteil der Schülerinnen und Schüler meiner Fokusklasse (eine 4. Klasse Mittelschule) schon ein recht klares Bild davon haben, welche weiteren Wege sie nach der Mittelschule gehen wollen. Viele von Ihnen haben auch schon die entsprechend notwendigen Schritte gesetzt. Einen wesentlichen Beitrag dazu haben sicher die letzten Berufspraktischen Tage geleistet, die ich organisiert habe. 

„Die 12-wöchige Sommerakademie war zwar sehr intensiv, sie war aber jede einzelne investierte Minute wert.“

Markus Neuherz, TFA Fellow

Wie nutzt du das Netzwerk von Teach For Austria? Was ist das besondere an der TFA Community und deinem Fellow Jahrgang?

Für mich ist das TFA Netzwerk einzigartig und unglaublich wertvoll. Ich nutze es täglich, da ich in der glücklichen Lage bin, gemeinsam mit einem weiteren Fellow meines Jahrgangs und einer TFA Alumna an der Schule zu unterrichten. Das heißt, ich bin täglich mit Menschen im Austausch, die eine gemeinsame Vision verbindet. Ganz konkret ist unser Fellow Jahrgang über WhatsApp Gruppen im Austausch. Hier wird von Tipps zu spannenden Lehrausgängen, über Stundenplanungstools, bis hin zu konkreten Aktivitäten für Musikstunden innerhalb des Jahrgangs sehr viel Nützliches geteilt, das einem viel Kopfzerbrechen und Zeit ersparen kann. 

Als besonders wertvoll empfinde ich die große Vertrauensbasis, die innerhalb unseres Fellow Jahrgangs herrscht. Wir teilen sehr offen, wie es uns geht, woran wir manchmal zu verzweifeln drohen, was uns wachsen lässt und worauf wir stolz sind. Ich habe das Gefühl, im Jahrgang in jeder Situation jemanden zu finden, die oder der mich versteht und das ist eine unglaubliche Ressource, die andere Lehrerkolleg*innen wohl nicht haben und für die ich sehr dankbar bin. 

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Mein ursprünglicher Plan war, nach den zwei Fellow-Jahren wieder in den Bereich Interessenvertretung, mit einem Schwerpunkt auf inklusive Bildungspolitik, zurückzukehren. Diesen Plan finde ich nach wie vor sehr reizvoll, gerade auch deshalb, weil ich meine Erfahrungen als Lehrer ganz sicher gewinnbringend in die Interessenvertretung einbringen kann. Allerdings habe ich im Moment das Gefühl, dass ich möglicherweise wohl etwas mehr als zwei Jahre als Lehrer aktiv sein werde. Ich werde die diesbezügliche Entscheidung noch weiter reifen lassen.

Was würdest du einer Person raten, die gerade mit dem Gedanken spielt, zwei Jahre das Social Leadership Programm von Teach For Austria zu machen?

Meine Empfehlungen sind: 

Hol dir so viele Informationen wie möglich. Sprich mit aktiven und ehemaligen Fellows. Hör auf deine innere Stimme und beginne, über die Idee mit anderen zu sprechen. Du wirst mehr und mehr erkennen, ob die Idee für dich passt. Wer möchte, kann mich gerne auch direkt kontaktieren - dabei spreche ich vor allem Career-Changer*innen an, die sich in ähnlichen Situationen befinden, wie ich (gut im Job verankert, familiäre Verpflichtungen etc.). Aus meiner Sicht ist es die Reise auf alle Fälle wert.

 

Vielen Dank für das Gespräch, lieber Markus!

—  Februar 2025

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