Wie Krieg unser Leben prägt
Lorenzo Ramani, Fellow 22', teilt seine Gedanken dazu, wie sein persönlicher Hintergrund, der tief im Balkankrieg verwurzelt ist, sein Leben und seinen Unterricht prägt.
Als Lehrperson mit einem persönlichen Hintergrund, der tief im Balkankrieg verwurzelt ist, trage ich die Geschichte von Schmerz und Resilienz mit mir in den Unterricht. Diese Vergangenheit, geprägt von einem generationsübergreifenden Trauma, gibt mir eine besondere Sensibilität und Tiefe im Umgang mit Themen wie Konflikten, Verlust und Überwindung. Es ist nicht nur Wissen, das ich vermittle, sondern auch Erfahrungen, die über Generationen hinweg weitergegeben wurden und meinen Blick auf die Welt geformt haben.
Für meine Schüler:innen bedeutet das oft, dass ich Themen aus einer sehr persönlichen Perspektive beleuchten kann. Sie sehen in mir nicht nur eine Lehrperson, sondern auch jemanden, der eine Geschichte des Überlebens und der Stärke repräsentiert. Meine eigene emotionale Verbindung zu diesen Themen schafft eine gewisse Atmosphäre im Klassenzimmer — eine, in der Empathie, Verständnis und Reflexion über das eigene Leben gefördert werden.
Wenn ich über aktuelle Kriege spreche, spüren die Schüler:innen, dass es nicht um abstrakte historische Ereignisse geht, sondern um reale Menschen und ihre Schicksale.
Diese Authentizität hat die Kraft, sie emotional zu berühren, und sie beginnen, die Welt und die Herausforderungen anderer mit anderen Augen zu sehen. Es geht nicht nur um Fakten und Daten, sondern darum, wie Geschichte in unser Leben hineinwirkt und uns prägt. Es geht um Liebe, Verlust und Verständnis.
Wie ich mit meinen Schüler:innen über unsere gemeinsamen Erfahrungen und den Krieg spreche – das ist wirklich ein wichtiger Punkt. Es ist entscheidend, eine sichere Atmosphäre zu schaffen, in der die Kinder sich trauen, ihre Fragen und Ängste zu äußern. Oft kommt die Frage „Warum?“ – warum gibt es Krieg, und warum müssen so viele Menschen leiden? Diese Fragen bieten einen guten Ansatzpunkt, um nicht nur die Ursachen von Konflikten zu besprechen, sondern auch über den Wert von Frieden und Mitgefühl zu sprechen.
Es geht darum, Mitgefühl für die menschlichen Verluste zu zeigen.
Im Klassenzimmer ist es besonders wichtig, eine Balance zu finden. So ist es mir zum Beispiel im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts wichtig, den Kindern beizubringen, Empathie für die Opfer auf beiden Seiten zu entwickeln, ohne dabei Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder extremistische Ideologien zu relativieren. Es geht darum, Mitgefühl für die menschlichen Verluste zu zeigen, aber auch klarzustellen, dass Gewalt und Kriegsverbrechen, egal von welcher Seite, nicht zu rechtfertigen sind. Diese Unterscheidung ist in einer Bildungsumgebung essenziell – wir können Leid anerkennen, ohne dabei extreme Positionen oder unmenschliche Handlungen zu unterstützen.
Für Lehrpersonen, die keine persönlichen Erfahrungen mit Krieg gemacht haben, könnte es hilfreich sein, das Thema über universelle Werte wie Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden zu behandeln. Rollenspiele, Diskussionen über historische Konflikte und deren Folgen oder das gemeinsame Erarbeiten von Lösungsansätzen für Konflikte können dabei helfen, das Thema behutsam, aber dennoch tiefgründig zu behandeln. Es geht auch darum, eine Gemeinschaft zu schaffen, in der Empathie und Solidarität im Vordergrund stehen, von Kind zu Kind, Lehrkraft zu Schüler:innen und umgekehrt.
— Oktober 2024